Unsere nächste Erasmus+-Reise führte uns für eine Woche ins Baltikum, nach Estland. Die Sommernächte sind in Estland etwas Besonderes, denn da Estland so weit nördlich liegt, wird es dort im Sommer nie richtig dunkel. Es dämmert lediglich für ein paar Stunden und wird dann auch schon wieder hell. Es ist eine geheimnisvolle Zeit. Dieses Jahr durften wir ein Teil davon sein.
Von Münchener Flughafen ging es als erstes nach Tallinn, das wir noch am selben Tag besichtigten. Die Altstadt ist seit 1997 UNESCO-Weltkulturerbe, weil die mittelalterliche Stadt hier fast völlig intakt ist: Das Straßensystem ist immer noch das des 13. Jahrhunderts, viele Häuser aus dem 15. Jahrhundert stehen in ihrer ursprünglichen Größe und Form da, alle wichtigen und repräsentativen Regierungsgebäude sowie Kirchen sind unversehrt und Reste der Stadtmauer erhalten. Den Schülerinnen und Schülern stachen gleich die deutschen Begriffe, welche an verschiedenen Gebäuden zu sehen sind, ins Auge. Sie sind ein Überbleibsel aus Tallinns Geschichte als deutsch-baltische Hansestadt.
Am nächsten Tag machten wir uns auf den Weg zu unserer Gastschule, der Kääpa Põhikool in der Kleinstadt Võru im Südosten des Landes. Unterwegs konnten wir bereits feststellen, dass Estland ein echtes Naturparadies mit großen Waldbeständen und vielen Flüssen ist. Etwa die Hälfte des Landes ist bewaldet. Die Esten lieben und schützen ihre Wälder, die mystischen Moore und all die Geschöpfe, die dort leben. Die vielen Seen und Flüsse luden in den kommenden Tagen noch des Öfteren zu einer kurzen Planschrunde ein.
Dass der idyllische Anblick aber manchmal trügt, mussten wir bei unserer Wanderung durch das Meenikunno-Moor erkennen: Hier zeigte sich, dass der Klimawandel bereits seine Spuren hinterlässt, denn der Borkenkäfer treibt in den Fichtenkulturen sein Unwesen und hat bereits große Teile der estnischen Wälder angegriffen. Wir konnten Parallelen zu unseren heimischen Wäldern in Bayern und Deutschland ziehen. In Workshops und Diskussionsrunden setzten sich die deutschen und estnischen Schüler und Schülerinnen gemeinsam mit diesen Problemen und Maßnahmen zur Bewahrung der Artenvielfalt auseinander. Als Produkt des Projekts entstand unter anderem ein kurzer Animationsfilm.
Neben Natur pur führte uns unsere Erasmus-Reise auch in die Universitätsstadt Tartu. Tartu ist eine Stadt mit Charme und Witz. Vor dem Rathaus beispielsweise findet sich eine Brunnenstatue mit „küssenden Studenten“ – vielleicht der perfekte Ort für das erste Date? In Tartu besuchten wir auch das Wissenschaftszentrum AHHAA. Hier waren wir gut zwei Stunden beschäftigt, denn auf drei Etagen gibt es jede Menge zu entdecken. In luftiger Höhe fuhren wir mit einem Fahrrad über ein Drahtseil oder tasteten uns vorsichtig durchs Spiegellabyrinth, um nicht versehentlich doch vor eine Glasscheibe zu laufen.
Da Estland ein hauptsächlich flaches Relief vorzuweisen hat, die Esten aber dennoch gerne hoch hinaus möchten, bauen sie Aussichtstürme, mit vielen Treppen. So auch auf dem Suur Munamägi, Estlands höchster Erhebung mit 318 Meter über dem Meeresspiegel. Auch von hier aus konnten wir die großen Waldbestände Estlands erkennen.
Estland gehört seit 2004 zur EU, und im selben Jahr erfolgte der Beitritt in die NATO. Über die Wichtigkeit beider Themen durften wir bei einem Gastvortrag eines Vertreters beider Bündnisse lernen. In der anschließenden Nachbesprechung und Diskussionsrunde erarbeiteten wir Vor- und Nachteile der europäischen Identität. Wir arbeiteten Gemeinsamkeiten heraus und brachten diese in Verbindung mit dem Alltag der Schüler und Schülerinnen. Als Produkt dieser Arbeitsphase entstand ein Podcast zum Thema „Europäische Identität – warum wichtig?“.
Wir sind dankbar um diese erlebnisreiche Woche, die geprägt war durch die Gastfreundschaft und Herzlichkeit der Esten. Der Abschied fiel schwer, doch wir wissen: Wir kommen wieder!
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